Roland Kühnel: „Es gibt sieben Todsünden des aktuellen Bauwesens“

Für den Geschäftsführer der timpla GmbH, die Deutschlands größte Holzmodulfabrik eröffnete, „bauen wir uns langsam zu Tode…“

Bau: Roland Kühnel ist Geschäftsführer der timpla GmbH
Roland Kühnel ist Geschäftsführer der timpla GmbH

Der Bausektor befindet sich an einem Wendepunkt und steht vor der dringenden Notwendigkeit, Nachhaltigkeit und Innovation zu integrieren, um den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.

In diesem Zusammenhang, Roland Kühnel, Geschäftsführer der Firma timpla GmbH aus dem brandenburgischen Eberswalde, gibt im Interview ausführliche Einblicke und geht auf die entscheidenden Herausforderungen ein, denen sich die Baubranche stellen muss.

Das Gespräch beleuchtet die sogenannten „sieben Todsünden des Bauwesens“, die die Branche laut dem deutschen Manager und Unternehmer überwinden muss, um eine nachhaltigere Zukunft zu schaffen.

Mit seiner eigenen Expertise und Weitsicht zeigt er die Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der Baukultur und den eingesetzten Technologien auf, um langfristige Lösungen für aktuelle Probleme zu finden.

Unter der B2B-Marke „timpla by Renggli“ agiert die timpla GmbH als Anbieter von mehrgeschossigen Häusern in serieller Holzmodulbauweise.

Alle Bauteile wie Wandkonstruktionen, Decken oder technische Installationen sind bereits digital geplant und in einem IT-Bauteilkatalog zusammengefasst.

timpla passt diese digital an individuelle Kundenbedürfnisse an, wie z. B. Grundstücksmaße, verfügbare Flächen bzw. Fassaden sowie Raum- und Raumkombinationen und vieles mehr.

Auf diese Weise baut das von Roland Kühnel geführte Unternehmen individuelle Gebäude aus standardisierten Bauteilen, die nicht aus der Massenproduktion stammen.

Dieses Unternehmen ist ein echter Treiber des Immobilienübergangs hin zu nachhaltigerem und unmittelbarerem Bauen und stellt daher einen Teil der Lösung für die Wohnungs- und Klimakrise dar.

Ihre Gesellschafter Renggli AG, Saxovent, Sächsischer Ärztebedarf und MQ Real Estate gründeten vor zwei Jahren die timpla GmbH.

Am 15. September 2022 erfolgte der Spatenstich für Deutschlands größte Holzmodulfabrik, der Produktionsstart ist für Sommer 2024 geplant.

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Bau: Das Holzmodulwerk der Firma Timpla GmbH in Eberswalde im Bundesland Brandenburg
Die modulare Holzfabrik der Firma Timpla GmbH in einer Drohnenaufnahme von Südostseite: Sie wird im brandenburgischen Eberswalde entstehen
(Foto: timpla GmbH)

Herr Roland Kühnel, wie ist die reale Situation im Bausektor?

"Das ist nicht gut. Und das in vielerlei Hinsicht, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Der Bausektor steht wahrscheinlich vor der größten Herausforderung seiner Geschichte. Eines ist sicher: Wir bauen uns buchstäblich langsam zu Tode…“.

Was meint er? Können Sie das näher erläutern?
"Wo soll ich anfangen? Die Herausforderungen sind vielfältig. Beginnen wir mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen: Der Immobiliensektor profitierte in den letzten Jahren von sehr niedrigen Zinsen. Es schien, als lebten wir in einer Art Finanzdoping für die Nutzung und den Konsum des Bausektors. Allerdings gehen heute höhere Zinsen mit höheren Bau- und Anschaffungskosten einher. Um es ganz klar auszudrücken: Das alles fühlt sich wie ein plötzlicher Hammerschlag für die Branche an. Dies sind jedoch nur wirtschaftliche und kurzfristige Faktoren. Dies führte schnell zur Krise und zum Bankrott einiger Unternehmen. Meine Aussage zielt eher auf zusätzliche, langfristige Faktoren ab, die ich zunehmend berücksichtige. Ich nenne sie gerne „die sieben Todsünden des Bauens“.

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Bau: Roland Kühnel ist Geschäftsführer der timpla GmbH
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Was meint er genau?
„Die Herausforderungen des Bausektors lassen sich in einige kritische Bereiche einteilen, die ich gerne als ‚die sieben Todsünden des Bauwesens‘ bezeichne und die ich problemlos im Detail darlegen kann:
1. Wir bauen zu klimaschädlich. Dies ist vor allem auf Baustoffe zurückzuführen, die mineralischen Ursprungs sind. Dennoch ist es möglich, auch mit rein mineralischer Bauweise die höchsten Nachhaltigkeitszertifizierungen in Deutschland zu erhalten und weiterhin taxonomiekonform zu bauen.
2. Wir verschwenden wertvolle Ressourcen. Beispielhaft dafür ist einmal mehr die Zement- und Betonindustrie: Für die Verpackung ihrer Produkte benötigt sie große Mengen Wasser, Kies und Energie. Allerdings sind Kies, Sand und Wasser nicht unbegrenzt verfügbar und werden teilweise bereits als kritische Ressourcen eingestuft.
3. Wir erzeugen zu viel Abfall. Der Bausektor ist einer der größten Abfallproduzenten. Bauschutt wird fast nie recycelt und wenn doch, wird er nur für untergeordnete Zwecke wie den Straßenbau verwendet.
4. Wir bauen zu aufwendig. Wer aus dem Maschinenbau oder der Softwarebranche kommt und in der Baubranche landet, erlebt in der Baubranche einen Kulturschock und fühlt sich in die Vergangenheit zurückversetzt. Der Bausektor selbst ist für einige negative Faktoren verantwortlich, wie zum Beispiel ineffiziente Organisationsprozesse oder die mangelnde Digitalisierung. Für andere kritische Themen wie Bürokratie und Überregulierung sind der Bund und die Länder zuständig. In keinem anderen Sektor hat sich die Produktivität so schlecht entwickelt wie im Bausektor. Das bedeutet, dass Bauprojekte oft zu teuer, zu langwierig und von schlechter Qualität sind.
5. Wir haben nicht genügend Fachkräfte. Nach Angaben der Gewerkschaft IG Bau fehlen rund 300.000 Arbeitskräfte und Techniker mit den nötigen Qualifikationen. Darüber hinaus ist ein Drittel der Bauarbeiter 55 Jahre oder älter. Der demografische Wandel steht noch bevor. Dies erleichtert die Umgestaltung der Konstruktion nicht.
6. Wir bauen zu gefährlich. Im Jahr 2022 wurden einhunderttausend Bauarbeiter verletzt und 74 starben sogar.
7. Mangel an Innovation und Verantwortung. Viele Akteure der Baubranche folgen veralteten Methoden, die durch bestehende Vorschriften gestützt werden. Die Beachtung der Produktqualität und des Kundenerlebnisses fehlt weitgehend. Es herrscht oft eine Build-to-Government-Mentalität.“

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Für welchen der sieben Punkte bzw. Todsünden haben Sie bei Timpla Lust, alternative Lösungen anzubieten?
„Was ich sage, wird den Leser nicht überraschen. Holzhäuser speichern Kohlenstoff und Holz wächst dank Bäumen nach, während Beton für massive Schadstoffemissionen verantwortlich ist. Heutzutage ist es eine Form von „Greenwashing“ und große Ignoranz gegenüber wissenschaftlichen Entwicklungen, Häuser, die ausschließlich aus mineralischen Materialien gebaut wurden, nach aktuellem Wissensstand als nachhaltig zu zertifizieren. Der Holzbau hingegen eignet sich sehr gut für die Wiederverwendung. Und seine Massenanwendung wird durch die digitale Transformation vorangetrieben. Die Lean-Methode garantiert Effizienz und ständige Optimierung. Das Endergebnis sind kurze Bauzeiten, die Einhaltung budgetierter Kosten und eine hohe Qualität.“

Wo besteht aus Ihrer Sicht der Berührungspunkt zwischen Wirtschaftlichkeit und natürlichen Materialien?
„Timpla von Renggli zeigt aktuell, wie Nachhaltigkeit und Innovation erfolgreich miteinander verknüpft werden können. Ein aktuelles Beispiel ist die Einführung der Crowdinvesting-Kampagne in Zusammenarbeit mit den Plattformen GLS Crowd und WIWIN. Diese Initiative ermöglicht es Privatinvestoren, mit einem Beitrag von nur 250 Euro den Bau von serienmäßig hergestellten Räumen und Räumen aus Holz direkt zu unterstützen. Es geht nicht nur darum, in das Gebäude selbst zu investieren, sondern auch darum, an die Zukunft und eine nachhaltige Entwicklung zu glauben. Durch die Teilnahme an dieser Aktion haben Investoren die Möglichkeit, Teil einer Bewegung zu werden, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Bausektor zu revolutionieren und einen positiven Beitrag zum Klimaschutz zu leisten.“

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Bau: Das Holzmodulwerk der Firma Timpla GmbH in Eberswalde im Bundesland Brandenburg
Die modulare Holzfabrik der Firma Timpla GmbH im Drohnenbild von Nordostseite: Sie steht bereits in Eberswalde im Bundesland Brandenburg
(Foto: timpla GmbH)

Aber ist Massenbau nicht ein kleiner Rückschritt in der Baukultur?
„Warum denken wir, dass wir eine Version 2.0 bereitstellen würden, die in mancher Hinsicht veraltet ist? Dies ist ebenso ein Vorurteil wie die Argumente, die manche gegen die Verwendung von Holz vorbringen. Der Massenbau hat sich weiterentwickelt. Von den Aufzeichnungen der 70er Jahre sind wir weit entfernt. Aus dieser Diskussion geht hervor, dass bei den meisten Wohn- und Bürogebäuden individuelle und sehr komplexe architektonische Konzepte umgesetzt werden. Das Gegenteil ist wahr. Schlendern Sie einfach durch eine typisch deutsche Stadt. Wenn die meisten Objekte, aus denen eine Immobilie besteht, von Anfang an in die Entwurfsphase einbezogen würden, ließe sich dies besser mit einer serienmäßigen Holzkonstruktion erreichen und man würde es von außen gar nicht bemerken ...“

Aber Holzbauten in Massenproduktion sind einfach teurer und oft sogar „zu teuer“...
„Nein, das ist nicht ganz so. Wenn die Holzproduzenten frühzeitig einbezogen würden, könnten sie ausgehandelte oder anderweitig akzeptable Preise anbieten. Tatsächlich ist es die Neugestaltung mineralischer Objekte oder das Beharren auf eigentlich ungünstigen Planungen, die den Holzbau verteuern. Viel wichtiger ist jedoch, dass die aktuelle ökonomische Vision von Bauprojekten im Baugewerbe die wichtigsten Kosten außer Acht lässt und sie unter dem Stichwort „CO2-Preis“ auf die Allgemeinheit abwälzt. Insbesondere bei der öffentlichen Auftragsvergabe mangelt es an verlässlichen Bewertungskriterien innerhalb der Ausschreibungsordnungen, um sicherzustellen, dass die Nachhaltigkeit unterschiedlicher Bauweisen auch aus wirtschaftlicher Sicht bei der Bewertung von Ausschreibungen berücksichtigt wird. In diesem Sinne gibt es bereits gute Ansätze, beispielsweise durch die sogenannten „Schattenpreise“, die in einigen Bundesländern eingesetzt werden.“

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